

12. September 2025
Gardasee: Isola del Garda – Bei der Contessa mit Tattoo
Für die Isola del Garda galt jahrzehntelang: Betreten verboten! Doch auch der Adel muss aufs Geld schauen und so ebnete die Besitzerfamilie den Weg auf ihre Insel und öffnete die Schlosstüren. Was zu sehen ist: der Gardasee in seiner schönsten Form, das ein Kilometer lange Paradies aus Blumen, Architektur und Ruhe, nur ein paar Meter vor der Landzunge San Fermo di San Felice gelegen.
Sie steht am piccolo Porto, dem kleinen Hafen der Insel, trägt ein rotes Top mit sechs Knöpfen, das passende Dessous, einen Jeansrock und weiße Flipflops. Eine Contessa stellt man sich anders vor. Die roten Haare könnten gehen. Aber der kleine Delfin auf der linken Schulter? Eine Contessa mit Tattoo? Sie sieht so normal aus, so unadelig. Und prompt sagt sie: „Bitte nennen Sie mich nicht Contessa! Ich heiße Alberta Cavazza und werde Sie über die Isola del Garda führen“. Kurze Pause: „Ich bin eine der acht Besitzer dieser Insel – zusammen mit meiner Mutter und meinen sechs Geschwistern.“
Für Gardasee-Fans verströmte die größte Insel des Lago schon immer einen Zauber und den Flair des Verbotenen: Der eine ruderte daran vorbei und guckte sich die Augen wund. Der andere flitzte mit seinem Schnellboot vorüber und wagte nur heimliche Blicke. Man ist ja schließlich selbst wer! Und sogar die Stars des Sees lugten von ihren eleganten Riva-Booten zur Isola. Nur wer jemanden kannte, hatte eine Chance bei den Cavazzas willkommen geheißen zu werden. Da kennt einer in Salò einen, der in Gardone wohnt und einen kennt, der enge Beziehungen hat ... Meist wurde nichts daraus: Die Isola del Garda war für Touristen uneinnehmbar.
Die Schilder „Accesso vietato“ – Betreten verboten – stehen zwar immer noch. Aber gegen Voranmeldung und Gebühr machen die Isola-Besitzer Ausnahmen. „Wir brauchen das Eintrittsgeld für Renovierungen“, sagt Alberta. Ihre Villa hat schließlich 80 Zimmer. 17 Räume sind bewohnt, Alberta lebt im Turm. Der Rest kann besichtigt werden. Früher lag die Zahl der Gefolgschaft bei 20 Personen. Heute sind vier Angestellte übrig geblieben.

Zypressen, stufenförmig angelegt, geben der Insel die Silhouette von Zinnen, Zacken und Spitzen. In der Mitte, nur von Süden einsehbar, dominiert das gräfliche Schloss, zu dem Alberta bescheiden Villa sagt: ein Palazzo im neugotisch-venezianischem Stil. Die Treppen, Terrassen und Gärten fallen bis zum See hinab. Eingewebt ist der 1903 fertig gestellte Bau von üppiger Vegetation: von einheimischen und exotischen Pflanzen, Sträuchern und Blumen, von einem Wald aus Kiefern und Zypressen, Akazien und Zitronenbäumen, Magnolien und Agaven. Oma Livia hat den Inselgarten angelegt und mehr als 50 Jahre gepflegt. Sie hat ein Paradies erschaffen. Besonders morgens, wenn die Vögel zwitschern und der See sich noch nicht in seinen typischen Dunst verkrochen hat, lüftet die Insel ihren Zauber von umwerfender Schönheit.

Aber wie lebt es sich so abgeschieden? Hat man Freunde? Durfte früher Besuch kommen? „Zwei Tage in Mailand und ich bin fertig“, sagt Alberta. Der Lärm und Gestank, die Enge der Stadt, das ist sie nicht gewohnt. „Am dritten Tag muss ich wieder auf der Insel sein!“ Freunde habe man, aber man trifft sich nicht so oft. Es wäre anders, wenn man Tür an Tür wohnen würde. Und „als Inselkinder waren wir immer sehr scheu, haben uns wenig getraut drüben auf dem Festland“. Die Mutter hat Besuch nicht verboten. Aber es waren nicht viele, die kamen. Denn auf der Insel waren die Besucher die Scheuen. Beim Thema Liebe lenkt sie auf ihre Mutter ab. Charlotte Chetwynd Talbot, Engländerin, hatte sich in Rom verliebt, ohne zu wissen, wer der knackige Ragazzo war. Sie wusste nur, er heißt Camillo Cavazza. Und er war zu dieser Zeit der einzige Besitzer der Isola del Garda. „Amore – verliebt in Roma – ja, so begann alles für uns ...“ Camillo ist gestorben und Charlotte und ihre sieben Kinder sind die Erben der Insel.
Die ersten Besucher der Insel hatten noch kein Dach über dem Kopf. Der Heilige Franziskus von Assisi errichtete 1221 eine Einsiedelei, in der fünf Mönche ein kontemplatives Leben in absoluter Armut führten. Ein Jahrhundert später soll Dante Alighieri hier gewesen sein. Das Entkorken einer Flasche Chiaretto unterbricht den historischen Abriss. „Salute!“, sagt sie, lächelt und nimmt einen Schluck des kühlen Weins. Ob auf der Insel vielleicht einmal ein Hotel oder Restaurant entstehen wird? „Niemals!“ Die Begründung steht in ihrem Gesicht geschrieben: Wir dulden Besucher für zwei Stunden, aber keine Gäste für zwei Tage. Die Contessa mit Delfin-Tattoo hat Prinzipien.
Informationen:
- LAGE: Isola del Garda, Region Lombardia – acht Einwohner
- AUSKUNFT: Tel. +39 328 612 69 43, isoladelgarda.com
- ANFAHRT: Boote fahren von fünf Ortschaften zur Insel; 15 Minuten pro Strecke ab Portese di San Felice, Porto Torchio di Manerba und Gardone Riviera, 20 Minuten ab Salò und 30 Minuten ab Sirmione.
- FÜHRUNG: Dauer zwei Stunden 15 Minuten. Besucht werden einige Räumlichkeiten des Schlosses, die Terrassen, die italienischen und englischen Gärten und der Naturpark. Eintritt um 30 EUR, je nach Abfahrtshafen, inklusive einem Glas Chiaretto; nur mit Vorausbuchung, geöffnet April bis Oktober.
Beitragsbild: Das Schloss auf Isola del Garda. Foto von Jochen Müssig
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Über den Autor: Jochen Müssig kennt den Gardasee seit Kindheitstagen und verbringt seit zehn Jahren jeden Sommer in seinem Rustico in Brenzone sul Garda. Er liebt das Vespa- und Cabrio-Fahren, das Segeln und Surfen, die wunderbare regionale Küche und die Herzlichkeit der Menschen. Ansonsten berichtet der Münchner Journalist gerne auch über den Rest der Welt. 95 Länder der Erde hat er bereist, 48 Bücher verfasst sowie zahllose Reportagen, unter anderem für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Die Welt“, „Süddeutsche Zeitung“, „Neue Zürcher Zeitung“ und etwa 30 weitere Medien.
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