Luzern: Spaziergang mit dem Sensenmann auf der Spreuerbrücke

04. August 2023

Luzern: Spaziergang mit dem Sensenmann auf der Spreuerbrücke

Was soll man bloß von einer Stadt halten, die zwar nicht gleich den Teufel an die Wand, wohl aber den Tod unter das Dach malt? Die erbauliche Antwort darauf finden Flaneure auf Luzerns Spreuerbrücke.

Sie zählt zu den ältesten und schönsten Holzbrücken der Schweiz, steht jedoch ganz im Schatten der größeren, nur wenige hundert Meter entfernten Kapellbrücke – dem postkartenhübschen Wahrzeichen der Stadt. Die wuchtigen, sonnengegerbten Holzbalken der weniger bekannten Spreuerbrücke strahlen die Ehrwürdigkeit des Alters aus.

Schon vor über 600 Jahren verband sie das rechte Reussufer mit den in der Flussmitte gelegenen Mühlen und führte dann weiter zur linken Seite ins Bäckerviertel. Nur von dieser Brücke durften Getreideabfälle, die Spreu, in die Reuss geworfen werden, womit sich auch ihr Name, nicht aber ihr spezieller Reiz erklärt. Der geht vor allem von ihrem Aufbau aus – ein Dach wie ein Damoklesschwert, denn überall hängt da der Tod herab.

Die Spreuerbrücke in Luzern. Foto: Pixabay
Die Spreuerbrücke in Luzern. Foto: Pixabay

In den Giebelfeldern sind 45 dreieckige Bildtafeln eingelassen, die den Sensenmann bei der Arbeit zeigen. Ob alt oder jung, arm oder reich, ungläubig oder religiös – niemand wird verschont. Weder Verdienst noch sozialer Stand zählen, niemand ist sicher vor dem Tod, der somit allen Grund hat, seine Überlegenheit zu feiern.

Foto: Thomas Schneider | bildbaendiger.de
Foto: Thomas Schneider | bildbaendiger.de

Da tanzen die Skelette, hüpfen im Kreis, schwingen Sense, Schaufel oder Sanduhr und spielen mit Trompete und Triangel zum allerletzten Tanz auf. So unmissverständlich geht es schon los mit dem barocken Bilderreigen, der vornehmlich das Werk des Schweizer Malers Kaspar Meglinger ist, obgleich auch viele seiner Kollegen mitgewirkt haben, um ihren Mitmenschen künstlerisch die Macht des Todes ins Gedächtnis zu rufen.

Den schwarzen Rahmen des ersten Bildes ziert folgende Inschrift:

„Was flügt und krücht was träbt und schwäbt /
Was schwümmt und ründt, ja was je läbt /
Flücht alls den Tod, ist doch kein Ort /
Auff Erde, darin nicht sey der Tod.“

Auch unter den anderen Bildern sind weitere Klagesprüche, erklärende Verse sowie die Namen der Mäzene zu lesen, deren großzügiges Sponsoring dieses Denkmal ermöglichte. Den Menschen im Mittelalter mag ein Memento mori, die Erinnerung an die eigenen Sterblichkeit, noch schauerliche Schrecken eingejagt haben.

Der um 1637 vollendete Totentanz-Bilderzyklus auf der Spreuerbrücke ist inzwischen jedoch so in die Jahre gekommen, dass der Tod ziemlich gestrig und nicht mehr ganz frisch erscheint, so, als wäre er selbst vergänglich. Herrlich altmodisch wirkt er, mitunter sogar unbeabsichtigt komisch, wenn er einer Frau aus ihrem eigenen Bett entgegenhüpft oder sich neckisch hinter Hecken versteckt.

Angst machen solche Sensenmänner nicht, ihre schlichte Botschaft aber schlägt jede noch so pathetische Glückskeks-Philosophie: Irgendwann ist euer Leben, der Tanz mit dem Tod, vorbei. Schlagt uns ein Schnippchen, so lange ihr könnt. Aber gern! Nach einem Gang über die Spreuerbrücke lässt sich Luzerner Lebensleichtigkeit noch ein bisschen intensiver spüren.

Text: Nicole Quint. Beitragsbild: Pixabay

Diesen und 49 weitere ReiseMomente in Luzern und am Vierwaldstätter See findet Ihr in dem Buch von Nicole Quint, ReiseMomente Luzern: 50 Mikroabenteuer zum Entdecken und Genießen: https://360grad-medienshop.de/rm-luzern

Über das Buch

Auf Gipfeln und Gabeln, in Strandkörben, Seilbahnen und Theatersesseln, im Wald und auf Wellen hat Nicole Quint 50 gute Gründe gefunden, um nähere Bekanntschaft mit der schönsten Stadt der Schweiz zu schließen – Luzern.

Der bloße Name beschwört Bilder vom blendend blauen Vierwaldstättersee und schneegekrönten Voralpen herauf und wie jeder fabelhafte Magier, der stets noch ein weiteres Kaninchen aus seinem Hut zaubern kann, überrascht auch Luzern mit immer Neuem und Unerwartetem.

Als Wegbegleiter führt dieses Buch Sie zu den echten Schätzen im Herzen der Schweiz, mal mitten hinein in den Trubel der Traumstadt Luzern, mal hinaus in die Natur an Stellen, die einfach gut tun, die zum Durchatmen und Staunen einladen.

Immer sind es Orte, die etwas zu erzählen haben, die uns berühren, zum Lachen bringen oder unseren Mut herausfordern. Orte, die zu Recht zu den touristischen Highlights zählen, und solche, die wenig bekannt sind, obwohl das Reiseglück oft genau dort lauert, wo man es gar nicht suchen wollte. Eines aber gilt immer – Luzern ist schöner als jedes Klischee erlaubt.

ReiseMomente Luzern mit Vierwaldstätter See

 

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